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Protest unter dem Regenbogen

Die Regenbogenparade ist ein politischer Protestmarsch mit Partycharakter in Wien, an dem verschiedene Gruppen seit 1996 gemeinsam für Sichtbarkeit, Respekt und Gleichstellung von LGBTIQ*-Personen in Österreich und darüber hinaus eintreten. Jährlich zieht hierzu ein ausgelassener, farbenfroher Festzug über die Wiener Ringstraße. Lautstark fordern die Teilnehmenden die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung von LGBTIQ*-Personen. Gleichzeitig feiern die LGBTIQ*-Communities auf der Parade gemeinsam mit ihren Verbündeten die erkämpften Errungenschaften und Erfolge.

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Die Anfänge der Regenbogenparade

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Regenbogenparade 1996 Das Plakat der ersten Regenbogenparade in Wien - Sichtbar96. Bildquelle: QWIEN.

Die Regenbogenparade ist Teil einer globalen Protestbewegung, die im Juni 1969 ihren Ausgangspunkt nahm, als sich Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Personen bei einer Polizeirazzia in einer Bar auf der Christopher Street (New York), dem Stonewall Inn, zur Wehr setzten. Dies führte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, wobei Polizeibeamte* gegen Homosexuelle und Trans*-Personen vorgingen. In Anlehnung an die Stonewall Riots finden deshalb alljährlich im Juni in zahlreichen Großstädten weltweit Pride-Paraden statt.

Österreich war eines der letzten Länder Europas, in dem das Totalverbot für homosexuelle Handlungen aufgehoben wurde (1971). Bis 2002 blieben jedoch Sondergesetze in Kraft, die die strafrechtliche Verurteilung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermöglichten. Seit 2019 steht die Zivilehe gleichgeschlechtlichen Paaren offen.

Diese und andere Errungenschaften sind nicht selbstverständlich und müssen ständig verteidigt werden. Das sichtbarste Zeichen für den Kampf um die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung von LGBTIQ*-Personen ist die alljährliche Regenbogenparade. Im Rahmen eines farbenfrohen, ausgelassenen Festzugs ziehen Menschen, die sich als Teil der LGBTIQ*-Communities verstehen oder sich zu ihren Verbündeten zählen, über die Wiener Ringstraße und demonstrieren für Sichtbarkeit, Respekt und Gleichstellung von LGBTIQ*-Personen in Österreich und darüber hinaus. Gleichzeitig zelebrieren die Paradenteilnehmer*innen die Errungenschaften und Erfolge im Kampf für LGBTIQ*-Menschenrechte und erheben neue Forderungen.

Andreas Brunner, Co-Leiter des Zentrums für queere Geschichte QWIEN und Mitorganisator der ersten Regenbogenparaden, spricht über die Anfänge der Parade. Audioquelle: QWIEN.
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Demonstration für LGBTIQ*-Menschenrechte

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Protest vor dem Parlament Das Foto aus dem Jahr 1996 zeigt Teilnehmer*innen der Regenbogenparade vor dem österreichischen Parlament. Bildquelle: HOSI Wien.

Als am 29. Juni 1996 die erste Regenbogenparade über die Ringstraße zog, existierten in Österreich noch drei Strafrechts-Paragraphen, die LGBTIQ*-Personen bedrohten. Der Kampf gegen die strafrechtliche Verfolgung war daher auf den ersten Paraden das zentrale Thema. Bis in die 2000er-Jahre dominierten zudem die Bedrohung durch Aids/HIV und das schmerzhafte Fehlen einer rechtlichen Absicherung gleichgeschlechtlicher Beziehungen den Protest.

Im Jahr 2003 fiel der letzte strafrechtliche Eintrag im Gesetzbuch gegen männliche Homosexuelle in Österreich. Nach langem politischem Ringen trat 2010 schließlich das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft in Kraft. Damit kam es zu einer Angleichung im Miet-, Erb- und Steuerrecht. Bis zur vehement geforderten „Ehe für alle“ dauerte es noch neun Jahre (2019). Ebenfalls rechtlich gesichert ist mittlerweile der Diskriminierungsschutz für LGBTIQ*-Personen in der Arbeitswelt.

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Die Regenbogenflagge

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Regenbogenflagge Museum Als ein Zeichen der Solidarität ist seit dem Jahr 2016 über dem Haupteingang des Volkskundemuseums in Wien die Regenbogenflagge gehisst. Bildquelle: Matthias Klos, Volkskundemuseum Wien.

„The rainbow flag has become far more than just a flag, it gives people hope“ (Gilbert Baker in einem Interview mit Kristina Backer im Jahr 2008).

Im Pride-Monat Juni schmückt die Regenbogenflagge öffentliche Verkehrsmittel ebenso wie Amtsgebäude und Privathäuser. Die Stadt Wien demonstriert auf diese Weise Solidarität und Unterstützung für die Anliegen der LGBTIQ*-Communities.

Die Regenbogenflagge wurde zum Gay Freedom Day in San Francisco vom amerikanischen Designer und Aktivisten Gilbert Baker kreiert und erstmals 1978 gezeigt. Heute ist sie das internationale Symbol für LGBTIQ*-Bewegungen. Bis Ende der 1970er-Jahre war der Rosa Winkel das Zeichen der Homosexuellenbewegung. Die in den Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett strahlende Flagge löste diesen ab. Baker schuf damit ein inklusives Protestzeichen, das weder zeitlich, räumlich noch politisch gebunden ist (vgl. Regener/ Safain/ Teune 2020: S. 59). Während der den Betroffenen von außen aufgezwungene Rosa Winkel ein Zeichen für Leid und Verfolgung darstellt, symbolisiert die selbst geschaffene Regenbogenflagge Emanzipation, Freiheit, Freude und Stolz.

Belege:

Backer, Kristina (2008): Gilbert Baker: „I love going to cities around the world and seeing the rainbow flag“. In: The Independent, vom 19.06.2008, https://www.independent.co.uk/news/people/profiles/gilbert-baker-i-love-going-to-cities-around-the-world-and-seeing-the-rainbow-flag-849691.html (letzter Zugriff: 03.12.2020).

Regener, Susanne/ Safain, Dorna/ Teune, Simon (2020): Popularisierung von Protestsymbolen. „Wir woll’n sie überall – Regenbogenfahnen“. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 33/1, S. 51-66.
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(Inter-)konfessioneller Regenbogenprotest

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Religionen auf der Regenbogenparade

Die Regenbogenparade bietet eine Plattform zur Sichtbarmachung diverser Formen sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten. Das spiegelt sich auch in der Vielfältigkeit der Teilnehmer*innen wider, die sich in unterschiedlichen Gruppen organisieren. Neben Gruppen wie den Gay Cops oder der queer@hochschulen sind auch religiöse Gruppen wie die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Glaube, kurz HuG, auf der Parade vertreten.

Religionen und aus ihnen entstehende Glaubensgemeinschaften geben als sinnstiftende und moralische Organisationen Lebensstile vor. In vielen Religionen wie dem Christentum oder dem Islam gilt etwa die heterosexuelle Ehe als Norm, wohingegen andere sexuelle Orientierungen in unterschiedlichem Ausmaß stigmatisiert werden. Der HuG ist es ein Anliegen, hier zu einem Umdenken und zum Dialog anzuregen. Zu den Anliegen der HuG zählen die Sichtbarmachung, Enttabuisierung sowie Entkriminalisierung von Homosexualität und LGBTIQ*-Personen in den Glaubensgemeinschaften und Kirchen. Ebenso fordern sie die kirchliche Gleichstellung in der Ehe und die Akzeptanz innerhalb der jeweiligen Gemeinde als vollwertige Mitglieder.

RFE Buttons Regenbogenbuttons der Religions for Equality, Europride 2019. Bildquelle: Religions for Equality.

Eine Marienprozession entlang der Wiener Ringstraße

Teils brachte sich die religiöse LGBTIQ*-Arbeitsgruppe mit provokanten Auftritten auf der Regenbogenparade ein und artikulierte so ihre kirchenrechtlichen Anliegen und Forderungen öffentlich. So inszenierten sie etwa im Jahr 2007 eine Marienprozession bei der Vienna Pride: Als Frauen* verkleidete Männer* trugen eine mit Blumen geschmückte Marienstatue die Wiener Ringstraße entlang. Dazu lasen sie aus der Bibel und sangen lautstark Marienlieder. Als Provokation verstanden dies vor allem Würdenträger*innen der römisch-katholischen Kirche, in welcher die Marienverehrung einen hohen Stellenwert einnimmt.

Seit 2019 nimmt die HuG als Teil der interkonfessionellen Initiative Religions for Equality an der Regenbogenparade teil. Das Besondere an dem Auftritt dieser Gruppe ist die Teilnahme und Unterstützung von geistlichen Würdenträger*innen verschiedener Glaubensgemeinschaften. Sie drücken durch ihre Präsenz in der ersten Reihe des Gruppenbeitrags auf der Regenbogenparade ihre Solidarität und Unterstützung aus.

hug marienprozession 2007 Mitglieder der HuG verkleidet als Frauen* mit Marienstatue, Regenbogenparade Wien 2007. Bildquelle: pedro negro.
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Die Relevanz der Regenbogenparade heute

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Vieles von dem, was in Österreich auf dem Weg zu Gleichstellung und Antidiskriminierung realisiert wurde, entstand zunächst nicht aus parlamentarischen Initiativen heraus. Es ist vielmehr Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft zu verdanken, die Gleichstellung lautstark und vehement zunächst auf der Straße einforderten und diese später vor den Höchstgerichten zugesprochen bekamen. Die Regenbogenparade ist hierbei eine wichtige Bühne zur Sichtbarmachung von Diskriminierung und Unterdrückung von LGBTIQ*-Personen gewesen und geblieben.

Lange Zeit orientierten sich die Forderungen der Bewegung an den Bürger*innenrechten in Österreich. Heute sind die Anliegen sehr viel differenzierter, internationaler und verweisen zunehmend auf aktuelle politische Ereignisse. Beispielsweise werden die internationale Solidarität mit LGBTIQ*-Personen, die Aufnahme und der Schutz von geflüchteten Queers und die Anerkennung der Menschenrechte von Trans*- und Inter*-Personen gefordert. Zudem soll eine Ausweitung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes auf alle Lebensbereiche, das sogenannte Levelling-up, erwirkt werden.

Plakat Europride 2019 Plakat der Europride Vienna 2019. Bildquelle: @EuroPrideVienna2019.